Philosophisches über die Nadeltherapie
Die Projektion von Leiden innerer Organe auf andere Körperregionen und speziell die Haut ist lange bekannt unter der Bezeichnung „Head´sche Zonen“, der reflektorische Zusammenhang des Bewegungsapparates mit schmerzunterhaltenden `Triggerpunkten´ oder kränkenden `Störherden´ in Narben, Zähnen oder anderen Strukturen ist durch die Neuraltherapie nach Huneke bekannt geworden (1). Auch seelische Erkrankungen stehen mit dem Bewegungsapparat und der Haut in Verbindung und es gibt eine lange therapeutische Tradition, diese „Somatisierungen“ auf den Bewegungsapparat auch gegen seelische Leiden therapeutisch zu nutzen, den körperlichen (somatischen) Zugang zu seelischen Erkrankungen.
Das beschrieb z.B. Wilhelm Reich´ (2) mit seiner körperbezogenen Orgon-Therapie, Gerda Boyesen (3) mit ihrer Faszienbehandlung bei seelischen Erkrankungen, die Brüder Huneke mit ihrer Neuraltherapie durch Infiltration von Narben und muskulären Gelosen mit seelisch emotionalen Fixierungen, Goodheart und seine Schüler über die kinesiologische Muskeldiagnostik und -behandlung. Die Kinesiologie nach Goodheart wurde weiter spezifiziert durch verschiedene Schüler, unter anderem durch Dietrich Klinghardt mit seinem Lehrbuch über Psychokinesiologie (4). Letztlich hat auch die Nadeltherapie unter der Bezeichnung Akupunktur einen körperlichen Zugang zu seelischen Leiden genutzt.
Vergessen Sie bitte die Vorstellung, dass alles was „Akupunktur“ heißt aus China komme
und nur über die der westlichen Vorstellung fremd und mystisch anmutende traditionell chinesische Philosophie des Qi und des Daoismus zu verstehen sei, auch wenn diese Therapieform über den traditionell-philosophischen Zugang sich über viele Jahrhunderte -bis heute- als erstaunlich wirksam und potent für viele Anwendungen erwiesen hat. Deswegen wird sie- ich meine zu Recht- auch heute noch und wieder auch in dieser traditionellen Form gelehrt und angewandt.
Dennoch ist die Nadeltherapie zunächst ein
physikalischer Reiz, ein Reiz der Haut, gegebenenfalls des Unterhaut-Gewebes und zuweilen auch der Muskulatur, die auch unter westlichen Vorstellungen und westlichen Denkansätzen praktikabel ist. Die `Nadeltherapie´ wurde in der westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten weiter ausgebaut und erforscht sowie in Anlehnung an die Nadeltherapie der chinesischen Therapie als „Akupunktur“ bezeichnet.
Die Nadeltherapie außerhalb der traditionellen chinesischen Medizin hat häufig eine kartographische Form, das heißt es gibt kartenartige Zuordnungen in sogenannten `Mikrosystemen´ des Körpers, auf denen man die Zuordnung des zu behandelnden Organes oder Ortes ähnlich einer Landkarte auffinden kann.
Besonders bekannt ist im Westen das Mikrosystem der Ohrmuschel, initiiert von Paul Nogier aus Lyon (5,6), bekannt als „Ohrakupunktur“, weiter die japanische „Schädelakupunktur“ nach Yamamoto (YNSA) (7), aber auch die `koreanische Handakupunktur´ (8), ein Mikrosystem des Körpers auf der Hand oder das von mir vorgestellte Armsomatotop an Unter- und Oberarm (9) (beschrieben 2009). Es gibt aber noch viele Mikrosysteme mehr, viele aufgelistet und beschrieben in dem Übersichtsbuch „MikroAkuPunkturSysteme" (MAPS) von J. Gleditsch (10). Auf allen findet man reflektorische Zuordnungen aus dem ganzen Körper, deren Lokalisation man durch Nadelreiz therapeutisch nutzen kann. P. Rabischong wagte den Versuch einer theoretischen Aufarbeitung dieses therapeutischen Phänomens auf dem Hintergrund des derzeitigen neurophysiologischen Wissens (11).
So verwundert es letztlich nicht, dass unter anderem auch Zonen gefunden wurden, die mit
neurologischen Leiden
in reflektorischer und therapeutisch nutzbarer Verbindung stehen. Yamamoto (Japan) zum Beispiel verbessert die Rehabilitation von Paresen (Lähmungen)- sowohl nach cerebralen Insulten wie auch nach Affektion(Schädigung) peripherer Nerven- mit seiner YNSA-Methode der Nadeltherapie am Schädel (7),
B. Strittmatter beschrieb Zuordnungen verschiedener Hirnzonen auf der Ohrmuschel (12,13). Durch Nadel-stimulierte Reizung dieser Regionen gelingt es häufig, neurologische Leiden über die Akupunkturbehandlung an Mikrosystemen zu bessern. Paresen (Lähmungen) regenerieren schneller, neuralgische Schmerzen – sogar schmerzhafte neuropathische Beschwerden- lassen sich recht gut über die exakt gefundenen Reflexpunkte der von mir in diesem Zusammenhang beschriebenen `Neuralgiezone´ auf der Ohrmuschelhelix therapieren (14-16). In der letzten Zeit gelang es sogar durch eine Dauerstimulation von Reflexpunkten mit dopaminerger Anbindung über lokale Implantate, Dopamin-Mangel-Krankheiten wie „Morbus Parkinson“ und „RLS“ (restless-legs-Syndrom = Syndrom der unruhigen Beine) erfolgreich zu bessern (17-19)). Vermutlich gelingt durch den Dauerreiz eine gewisse Stimulation der Dopaminausschüttung.
Auch diese Behandlungen können bei gegebener Indikation bei uns durchgeführt werden.
Literatur:1) Fischer, L., Neuraltherapie nach Huneke, Stuttgart, Hippokrates, 2001, 2. Auflage
2) Reich Wilhelm, Charakter Analyse, 2010-nach Aufnahme 1946, Anaconda Verlag GmbH Köln,
ISBN:978-3-86647-506-9
3) Boyesen Gerda, „Über den Körper die Seele heilen,`Biodynamische Psychologie und Psychotherapie´,
deutsche Ausgabe München, Kösel Verlag,1987, ISBN 3-466-34167-1
4) Klinghardt D., Lehrbuch der Psychokinesiologie, Stuttgart, 2006, INK, ISBN 978-3-9808-9720-4
5) Nogier P. Über die Akupunktur der Ohrmuschel. Dt Ztschr f Akup 1957;6,3-4:25-33
6) Nogier P. ,Lehrbuch der Auriculotherapie, , Saint Ruffine,1969 Maison neuve
7) YamamotoToshikatsu et al., "Yamamoto Neue Schädelakupunktur,
Verlag für Ganzheitliche Medizin",Kötzing,2005, ISBN 3-027344-66-4
8) Finken L. Koreanische Handakupunktur. Stuttgart: Hippokrates, 2000, ISBN 3-7773-1337-8
9) Riehl G. (2013) Ein neues Somatotop am Arm-Erstbeschreibung, Dt. Ztschr f Akup. 56 (1): 11 - 12
10) Gleditsch JM, Lehrbuch und Atlas der MikroAkuPunktSysteme (MAPS),
Grundlagen der somatotopischen Therapie. 2. überarbeitete Auflage,
Marburg: KVM –Der Medizinverlag, 2007
11) Rabischong P. (2011), Kann der Stand der neurophysiologischen Erforschung der Ohrmuschel die therapeutische
Wirkung der aurikulären Stimulation erklären?, Dt. Ztschr. f. Akup. 54, (1): 11 - 15
12) Strittmatter,B. (1995), Lokalisationen auf der Ohrmuschel- zentrales,peripheres und autonomes Nervensystem,
Der Akupunkturarzt/Aurikulotherapeut (3):10 -23
13) Strittmatter B, Taschenatlas Ohrakupunktur nach Nogier/Bahr, 5. aktualisierte Aufl., Stuttgart.
Haug Verlag,2013, ISBN: 978-3-8304-7636-8
14) Riehl G. (2009) Nutzung des Ohrsomatotops in der Therapie von Neuralgien und Neuropathien,
Dt. Ztschr. f. Akup. 52 (1): 30 - 35
15) Riehl G. (2011) Therapie von Neuropathien über die Neuralgiezone in der Ohr-Akupunktur,
Dt. Ztschr. f. Akup.54 (2): 14-16
16) Riehl G.(2017) Die Helix in der Ohrakupunktur, Dt. Ztschr. f. Akup. 60(3):20 – 23
17) Wlasak R. (2012) Implantat-Akupunktur, , Springer Medizin Verlag, Berlin Heidelberg,
ISBN-13-978-3-642-20025-0
18) Wlasak R. et alii (2011) Implantat-Akupunktur beim Restless-legs-Syndrom,
Dt Ztschr f Akup.54(3):6-11
19) Wlasak R.(2014) Implantat-Akupunktur bessert die Lebensqualität bei Morbus Parkinson, eigene Anwendungsbeobachtung,Düsseldorf